ein Buch, das die WT-Gesellschaft 1979 veröffentlicht hat und das leider nicht mehr publiziert wird.
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11 Hört auf, Brüder, gegeneinander zu reden. Wer gegen einen Bruder redet oder seinen Bruder richtet, redet gegen das Gesetz und richtet das Gesetz. Wenn du nun das Gesetz richtest, bist du nicht ein Täter des Gesetzes, sondern ein Richter.
11Hörtauf,Brüder,gegeneinanderzureden
In dem vorangegangenen Abschnitt des Briefes behandelte Jakobus das Problem des Hochmuts und des Mangels an Demut. Diese Eigenschaft mag auch die Ursache des Problems gewesen sein, das er nun aufgreift, nämlich daß Christen gegen ihre Brüder redeten (vgl. Ps. 101:5). Da Jakobus sich bereits damit befaßt hat, daß einige Christen ihre Brüder „verfluchten“, etwas, was oft im Zorn oder aus bitterem Haß heraus geschieht, muß sich dieser Abschnitt mit einem anderen Gesichtspunkt einer falschen Einstellung zu den Brüdern befassen. Jetzt geht Jakobus gegen Kritiksucht vor.
Dadurch, daß Jakobus „Brüder“ sagt, betont er die Größe des Unrechts. Oft veranlaßt einen der Wunsch, sich selbst zu erhöhen, gegen jemand anders zu reden, ihn herabzuwürdigen und ihn in ein schlechtes Licht zu stellen. Ein Psalmendichter sagte über eine solche Person: „Du sitzt und redest wider deinen eigenen Bruder, wider den Sohn deiner Mutter gibst du einen Fehler preis“ (Ps. 50:20). Auch Selbstgerechtigkeit kann dazu führen, daß jemand andere Personen und das, was sie tun, kritisiert, ja sie sogar anklagt (Joh. 9:13-16, 28, 34). Doch ganz gleich, was für einen Beweggrund jemand haben mag — solch nachteiliges Reden gehört sich nicht für Brüder im Haushalt des Glaubens. (Vergleiche 3. Mose 19:16; Sprüche 3:29, 30.) Aufgrund der ererbten Sündhaftigkeit besteht ein allgemeiner Hang in dieser Richtung, und daher ist der Rat des Jakobus von großem Wert.
WergegeneinenBruderredetoderseinenBruderrichtet
Natürlich ist es nicht verkehrt, sich gegen ein Benehmen oder gegen Handlungen auszusprechen, die in Gottes Wort verurteilt werden. Besonders christliche Älteste haben die Pflicht, Personen, die Sünde treiben, zurechtzuweisen, sogar mit Strenge; und alle in der Versammlung haben die Verantwortung, ihr Mißfallen über eine solche Handlungsweise zum Ausdruck zu bringen (1. Kor. 5:1-5, 9-13; Eph. 5:3, 11; 2. Thess. 3:6, 11-15; 1. Tim. 5:20; 2. Tim. 4:2; Tit. 1:9-13). Doch in all diesen Fällen zeigt Gottes Wort selbst, daß das Benehmen oder die Handlungen, um die es geht, sündig sind. Somit ist es sein Wort, sein Gesetz, das die Zurechtweisung erteilt und richtet. Christliche Älteste übermitteln lediglich diese göttliche Zurechtweisung und den von Gott gefällten Urteilsspruch. Jakobus erteilt in seinem Brief selbst solche Zurechtweisungen, zum Beispiel zeigt er nachdrücklich, wie verkehrt eine Anbetung ist, die sich nur in Worten, aber nicht in Taten äußert, und wie verkehrt Parteilichkeit, Zwietracht und Streitigkeiten unter Brüdern sind. Worin besteht dann der Unterschied zwischen einem solchen Vorgehen und der Handlungsweise, die Jakobus hier bespricht?
Der griechische Ausdruck, der in diesem Vers mit „gegen einen Bruder reden“ wiedergegeben wird, beschreibt ein Reden, das Feindseligkeit, Ablehnung und Verleumdung verrät. Er hat auch den Sinn von „beschuldigen“ mit dem Nebensinn des Unwahren oder Übertriebenen. (Vergleiche die Verwendung des Ausdrucks in 1. Petrus 2:12.) Die Tatsache, daß Jakobus als nächstes davon spricht, daß jemand seinen Bruder ‘richtet’, und sich dann mit dem Richten befaßt und auf dem Höhepunkt seiner Darlegung die Frage stellt: „Wer bist du, daß du deinen Nächsten richtest?“, zeigt, daß der Ausdruck „gegen einen Bruder reden“ bedeutet, etwas an ihm auszusetzen, ihn streng zu kritisieren oder ihn zu tadeln, doch ohne guten Grund. Das kommt einer Beurteilung gleich, entweder seiner Person oder seiner Handlungsweise oder seiner Beweggründe. Es ist eine negative Einschätzung seines sittlichen Wertes, für die es keine Grundlage gibt. Das Unrecht wird noch verschlimmert, wenn dieses verurteilende Reden hinter dem Rücken des Beschuldigten vor sich geht.
Über das Wort „oder“ in dem Satzteil „gegen einen Bruder redet oder seinen Bruder richtet“ schreibt der Gräzist Lenski: „Das ,Oder‘ ist verbindend, nicht ausschließend“, das heißt, das Reden gegen den Bruder und das Richten sind miteinander verbundene, keine unzusammenhängenden Handlungen.
redetgegendasGesetzundrichtetdasGesetz
Jakobus erklärt, daß eine solch ungerechte, grobe und unfreundliche Kritik an einem christlichen Bruder das gleiche sei, als würde jemand gegen das Gesetz reden und es richten. Etwas früher in seinem Brief spricht Jakobus von dem „königlichen Gesetz“ der Nächstenliebe und dem „Gesetz eines freien Volkes“ (Jak. 2:8, 12). Jakobus scheint daher in dem zur Betrachtung stehenden Abschnitt nicht vom mosaischen Gesetz zu sprechen, sondern von Gottes Gesetz im allgemeinen, wie es auf die Christenversammlung angewandt wird. Wie der Gelehrte Lenski erklärt, steht das Wort für „Gesetz“ im Griechischen hier ohne den bestimmten Artikel, und das stützt die Ansicht, daß Jakobus sich nicht ausdrücklich auf das mosaische Gesetz („das Gesetz“) bezieht. Es könnte jedoch erwähnt werden, daß das „königliche Gesetz“ der Nächstenliebe auch einen Bestandteil des Gesetzesbundes bildete. Tatsächlich sagte Jesus, daß das ganze Gesetz (das Israel durch Moses gegeben wurde) auf nur zwei Geboten beruhe — Liebe zu Gott und Liebe zum Nächsten. (Vergleiche 3. Mose 19:18; Matthäus 22:37-40; Römer 13:8-10.) In ähnlicher Weise legt auch das von Jesus gegebene „neue Gebot“ Nachdruck auf die Liebe (Joh. 13:34; 15:12). In den gesamten inspirierten Christlichen Schriften wird darauf der gleiche Nachdruck gelegt.
Wieso wird nun gesagt, daß die hier beschriebene Handlungsweise einem Reden gegen das Gesetz und einem Richten des Gesetzes gleichkommt? Eine Parallele dazu mögen wir in den verurteilenden Worten finden, die Jesus an die Schriftgelehrten und Pharisäer richtete. Sie sprachen gegen ihn und seine Jünger und warfen ihnen vor, es fehle ihnen an Gottergebenheit, sie hätten falsche Beweggründe und ihre Handlungen seien ungerecht, da sie zum Beispiel den Sabbat verletzten. Sie taten dies jedoch aufgrund von Maßstäben, die sie selbst aufgestellt hatten (wenn sie die Jünger beispielsweise beschuldigten, mit ‘unreinen Händen’ zu essen), oder indem sie Gottes Gesetze sehr extrem auslegten (wenn sie die Jünger beispielsweise verurteilten, weil sie am Sabbat Ähren abpflückten, zerrieben und aßen). Jesus sagte ihnen: „Ihr gebt das Gebot Gottes auf und haltet an der Überlieferung der Menschen fest.“ Ferner sagte er, sie würden das Wort Gottes durch ihre Überlieferungen ungültig machen, die sie übermitteln und als Grundlage zum Richten verwenden würden (Mark. 7:1-9, 13; Luk. 6:1, 2; 11:38; 14:1, 3; Joh. 9:16). Sie hatten sich „auf Moses’ Stuhl gesetzt“. Moses war von Jehova besonders als Gesetzgeber und Richter für Israel gebraucht worden; und während nun die Schriftgelehrten und Pharisäer eifrig verkündeten, was in Gottes Gesetz aufgezeichnet war, fügten sie manches hinzu und erlegten so dem Volk viele bedrückende Traditionen auf (Matth. 23:1-4; Apg. 7:35-38). Da das gewöhnliche Volk das Gesetz nicht gemäß ihren Maßstäben hielt, erachteten sie es „für nichts“, ohne jeden sittlichen Wert, und richteten es, indem sie es als ‘verflucht’ bezeichneten (Luk. 18:9-12; Joh. 7:49).
Dadurch, daß sie das taten, redeten sie gegen das Gesetz und richteten es. Sie maßten sich an, das Privileg und die Befugnis zu haben, das Gesetz nach ihren Vorstellungen auszulegen, es zu erweitern oder einige Bestimmungen überzubetonen und dafür andere zu vernachlässigen. Jesus sagte ihnen, daß sie in kleinen Dingen peinlich genau und in großen Dingen sehr sorglos seien, daß sie ‘die gewichtigeren Dinge des Gesetzes außer acht ließen, nämlich das Recht und die Barmherzigkeit und die Treue’ (Matth. 23:16-24). Gemäß Matthäus 7:1-5 wies Jesus seine Jünger an, sich vor einer solch verkehrten Handlungsweise zu hüten und ihre Brüder nicht zu richten.
Noch in einer anderen Hinsicht spricht jemand, der gegen seinen Bruder redet (vielleicht verleumderisch) oder ihn richtet, gegen das Gesetz, und zwar indem er nicht die Ordnung und den Frieden fördert. In Psalm 119:165 heißt es: „Überströmender Friede gehört denen, die dein Gesetz lieben.“ Würden viele in der Versammlung heftige Kritik üben und ungerecht richten, so könnte dies praktisch zur Anarchie führen. Als Ergebnis würde das geschehen, wovor Paulus die Brüder in den Versammlungen in Galatien warnte, nachdem er ihnen den Rat gegeben hatte, einander zu lieben: „Wenn ihr jedoch einander fortgesetzt beißt und verschlingt, so seht euch vor, daß ihr nicht voneinander vertilgt werdet“ (Gal. 5:13-15).
Der Rat, den Jakobus gab, war daher dringend nötig. In der Christenversammlung in Rom waren zum Beispiel Probleme aufgetreten, weil einige es sich zur Gewohnheit gemacht hatten, „Entscheidungen in bezug auf Zweifelsfragen“ zu treffen („Beurteilungen von Gedanken“ anzustellen, KingdomInterlinear). Diejenigen, deren Gewissen es ihnen erlaubte, gewisse Dinge zu tun oder nicht zu tun, blickten auf die herab, deren Gewissen dies nicht gestattete, während die letzteren die ersteren richteten, indem sie sie einer verkehrten Handlungsweise beschuldigten (Röm. 14:1-3). Paulus ermahnte sie jedoch, einander nicht zu kritisieren und zu richten, sondern sich statt dessen von Liebe leiten zu lassen und aus Interesse am geistigen Wohl ihrer Brüder lieber auf Dinge zu verzichten, die andere zum Straucheln bringen könnten (Röm. 14:13-15, 19-21; 15:1-3; vergleiche 1. Korinther 8:4, 7-13).
Der Rat des Jakobus stimmt mit dem des Paulus überein. Einem Christen ist es in keiner Hinsicht verboten, in Angelegenheiten, in denen man persönlich entscheiden muß, seine eigene Meinung zu haben, nicht einmal, eine feste Meinung zu haben. Verurteilt wird nicht, daß wir uns ein eigenes Urteil bilden, sondern daß wir unsere persönlichen Ansichten oder Entscheidungen als Grundlage dafür benutzen, unseren Bruder anzuklagen und zu richten. (Vergleiche Römer 14:5, 22, 23.) Wenn wir das tun, erheben wir uns über unseren Bruder als Richter; wir tun so, als stünden wir über ihm und hätten das Recht, seine persönlichen Entscheidungen in solchen Angelegenheiten zu verwerfen und ihn zu verurteilen. (Vergleiche 1. Korinther 10:29, 30.)
Ein Christ hat die Pflicht, Gottes Gesetz zu gehorchen, nicht, sich als Kritiker aufzuspielen. Da das Gesetz gebietet, seinen Bruder und auch andere zu lieben, zeigt jemand, der seinen Bruder heftig kritisiert und richtet, daß er ihn nicht liebt, und somit ist er nicht ein Täter, sondern ein Übertreter des „königlichen Gesetzes“. (Vergleiche Epheser 4:31, 32; 5:1, 2.) Ja nicht nur das, er entfernt sich gewissermaßen aus den Reihen derer, die dem Gesetz unterworfen sind, und erhebt sich in die höhere Stellung eines Richters.
Daß jemand ‘das Gesetz richtet’, kann auf verschiedene Weise zum Ausdruck kommen. Dadurch, daß er nicht alle Gebote — zum Beispiel das Gebot, seinen Nächsten zu lieben und ihn nicht ungerechtfertigt anzuklagen — als bindend betrachtet, richtet er einen Teil des Gesetzes, indem er sagt, man brauche ihm nicht zu gehorchen. Wenn er seinen Bruder in Angelegenheiten verurteilt, in denen Gottes Gesetz ihn nicht verurteilt, beurteilt er das Gesetz gewissermaßen als unzulänglich, als könne es nicht richtig als Grundlage zum Richten dienen, es sei also nicht so geschrieben, wie es hätte geschrieben werden sollen, und es benötige seine Zusätze oder Änderungen. In den Tagen des Jakobus wollten einige Christen am jüdischen Gesetz festhalten, und manchmal kritisierten sie ihre Brüder, die das nicht taten, und sprachen gegen sie. Doch dadurch bemängelten sie das „Gesetz eines freien Volkes“, von dem Jakobus spricht. Sie beurteilten die Aufhebung des mosaischen Gesetzes als unweise und unangebracht und waren der Auffassung, dies werde zu Zügellosigkeit und Unrechttun führen. (Vergleiche Kolosser 2:16, 17, 20-23; Hebräer 8:10-13.)
12 Einer ist es, der Gesetzgeber und Richter ist, er, der zu retten und zu vernichten vermag. Du aber, wer bist du, daß du deinen Nächsten richtest?
Jakobus geht nun noch weiter und weist auf die Größe des Unrechts hin, das mit einer solch ungerechtfertigten Beschuldigung eines Bruders verbunden ist. Da derjenige, der dies tut, sich zu einem Richter des Gesetzes Gottes aufspielt, stellt er sich mit dem Urheber dieses Gesetzes, dem Gesetzgeber, auf die gleiche Stufe der Autorität. Dadurch, daß er seinen Bruder ungerechtfertigt richtet, mag er sich sogar gewissermaßen das Recht herausnehmen, seine eigene Gesetzgebung einzuführen, gestützt auf seine eigenen, persönlichen Maßstäbe. Doch Jakobus erklärt, daß es nur einen Gesetzgeber und Richter gibt. Dies ist nicht irgendein Mensch, sondern Jehova Gott, der höchste Richter und Gesetzgeber (Jes. 33:22). Er allein hat das souveräne Recht, Maßstäbe und Regeln für die Rettung aufzustellen, da er allein „zu retten und zu vernichten vermag“, das heißt den vollen Lohn und die volle Strafe geben kann. Gottes Sohn sagte: „Werdet nicht furchtsam vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können; fürchtet aber vielmehr den, der sowohl Seele als Leib in der Gehenna vernichten kann“ (Matth. 10:28; vergleiche Psalm 68:20; 75:7). Obwohl sich derjenige, der gegen seinen Bruder spricht und ihn richtet, nicht völlig darüber im klaren sein mag, welche Stellung er sich anmaßt, befindet er sich doch in einer sehr gefährlichen Lage, da er die richterlichen Funktionen des unfehlbaren Gottes zu übernehmen versucht.
„Das Gesetz Jehovas ist vollkommen“; es ist somit vollständig, geläutert und nicht mangelhaft, unzulänglich oder ungeeignet, seinen Zweck zu erfüllen (Ps. 19:7). Den Israeliten sagte Gott: „Jedes Wort, das ich euch gebiete, solltet ihr sorgfältig tun. Ihr sollt nichts hinzufügen noch davon wegnehmen“ (5. Mose 12:32; vergleiche Sprüche 30:5, 6; Offenbarung 22:18). „Dein Gesetz ist Wahrheit“, heißt es in Psalm 119:142, und somit ist es in Übereinstimmung mit dem tatsächlichen Sachverhalt, und es entspricht genau dem, was wirklich benötigt wird. Da Gott der alleinige Gesetzgeber und Richter ist, kann nur er entscheiden, wann irgendeines seiner Gesetze aufgehoben werden kann, weil es seinen Zweck erfüllt hat (wie es beim Gesetzesbund der Fall war), oder wann er neue Gebote und Gesetze erlassen muß (Hebr. 8:10-13; vergleiche Galater 1:8, 9, 11, 12). Genauso, wie es der Gipfel der Respektlosigkeit wäre, wenn Menschen versuchen wollten, Gottes Gesetz so hinzustellen, als heiße es etwas gut, was es in Wirklichkeit verurteilt, so wäre es gleichermaßen vermessen, es so hinzustellen, als würde es etwas verbieten, was es in Wirklichkeit erlaubt (Jes. 5:20; Spr. 17:15). Genau das taten die religiösen Führer der Juden trotz ihres Eifers für das mosaische Gesetz. Jakobus erklärte seinen Brüdern in der Christenversammlung, daß sie sich vor einem ähnlichen Fehler hüten mußten.
Duaber,werbistdu,daßdudeinenNächstenrichtest?
Die Frage, die Jakobus hier stellt, ist vernichtend. Es erscheint tatsächlich unglaublich, daß sich irgendein schwacher, irrender, unvollkommener, sündiger Mensch für berechtigt oder kompetent halten würde, anstelle des unfehlbaren Gottes seinen Mitmenschen zu richten, wenn Gott dies durch sein Wort nicht getan hat. Gottes vollkommener, sündenloser Sohn erklärte wiederholt, daß er sich stets sorgfältig und treu an das hielt, was ihm sein Vater gesagt hatte, und daß er sich entschlossen weigerte, aus eigenem Antrieb zu handeln oder zu richten (Joh. 5:30, 45; 7:16-24; 8:15, 16, 26, 28; 12:28-50). Er sagt uns als seinen Jüngern, daß wir es uns nicht erlauben sollten, unseren Nächsten willkürlich zu richten und zu verurteilen, wenn wir nicht selbst als unvollkommene, sündige Geschöpfe gerichtet und verurteilt werden wollen (Matth. 7:1-5; Luk. 6:37; vergleiche Römer 2:1-3).
Die Frage, die Jakobus aufwirft, findet eine Parallele in dem, was der Apostel Paulus in Römer 14:4 sagt: „Wer bist du, daß du den Hausknecht eines anderen richtest? Er steht oder fällt seinem eigenen Herrn.“ Ein Herr hat das Recht, für seinen eigenen Knecht Gesetze aufzustellen, ihm gewisse Pflichten und Einschränkungen aufzuerlegen, ihn zu behalten oder ihn zu entlassen. Würde sich jemand anders diese Verantwortung anmaßen, so könnte der Herr des Knechtes mit Recht sagen: „Was bildest du dir ein?“ (Vergleiche Sprüche 30:10; 1. Korinther 4:1-5.) Da dem so ist, sagt der Apostel weiter: „Warum aber richtest du deinen Bruder? Oder warum blickst du auch auf deinen Bruder hinab? Denn wir werden alle vor dem Richterstuhl Gottes stehen“ (Röm. 14:10; siehe auch Vers 11-13). Wenn wir anerkennen, daß Gott unparteiisch richtet, und unsere eigenen Schwächen einsehen, so wird uns dies helfen, uns vor einem Gefühl der Selbstgerechtigkeit oder der Überlegenheit gegenüber unserem Nächsten zu hüten. (Vergleiche Hiob 31:13-15.)
11 Hört auf, Brüder, gegeneinander zu reden. Wer gegen einen Bruder redet oder seinen Bruder richtet, redet gegen das Gesetz und richtet das Gesetz. Wenn du nun das Gesetz richtest, bist du nicht ein Täter des Gesetzes, sondern ein Richter.
11 Hört auf, Brüder, gegeneinander zu reden
In dem vorangegangenen Abschnitt des Briefes behandelte Jakobus das Problem des Hochmuts und des Mangels an Demut. Diese Eigenschaft mag auch die Ursache des Problems gewesen sein, das er nun aufgreift, nämlich daß Christen gegen ihre Brüder redeten (vgl. Ps. 101:5). Da Jakobus sich bereits damit befaßt hat, daß einige Christen ihre Brüder „verfluchten“, etwas, was oft im Zorn oder aus bitterem Haß heraus geschieht, muß sich dieser Abschnitt mit einem anderen Gesichtspunkt einer falschen Einstellung zu den Brüdern befassen. Jetzt geht Jakobus gegen Kritiksucht vor.
Dadurch, daß Jakobus „Brüder“ sagt, betont er die Größe des Unrechts. Oft veranlaßt einen der Wunsch, sich selbst zu erhöhen, gegen jemand anders zu reden, ihn herabzuwürdigen und ihn in ein schlechtes Licht zu stellen. Ein Psalmendichter sagte über eine solche Person: „Du sitzt und redest wider deinen eigenen Bruder, wider den Sohn deiner Mutter gibst du einen Fehler preis“ (Ps. 50:20). Auch Selbstgerechtigkeit kann dazu führen, daß jemand andere Personen und das, was sie tun, kritisiert, ja sie sogar anklagt (Joh. 9:13-16, 28, 34). Doch ganz gleich, was für einen Beweggrund jemand haben mag — solch nachteiliges Reden gehört sich nicht für Brüder im Haushalt des Glaubens. (Vergleiche 3. Mose 19:16; Sprüche 3:29, 30.) Aufgrund der ererbten Sündhaftigkeit besteht ein allgemeiner Hang in dieser Richtung, und daher ist der Rat des Jakobus von großem Wert.
Wer gegen einen Bruder redet oder seinen Bruder richtet
Natürlich ist es nicht verkehrt, sich gegen ein Benehmen oder gegen Handlungen auszusprechen, die in Gottes Wort verurteilt werden. Besonders christliche Älteste haben die Pflicht, Personen, die Sünde treiben, zurechtzuweisen, sogar mit Strenge; und alle in der Versammlung haben die Verantwortung, ihr Mißfallen über eine solche Handlungsweise zum Ausdruck zu bringen (1. Kor. 5:1-5, 9-13; Eph. 5:3, 11; 2. Thess. 3:6, 11-15; 1. Tim. 5:20; 2. Tim. 4:2; Tit. 1:9-13). Doch in all diesen Fällen zeigt Gottes Wort selbst, daß das Benehmen oder die Handlungen, um die es geht, sündig sind. Somit ist es sein Wort, sein Gesetz, das die Zurechtweisung erteilt und richtet. Christliche Älteste übermitteln lediglich diese göttliche Zurechtweisung und den von Gott gefällten Urteilsspruch. Jakobus erteilt in seinem Brief selbst solche Zurechtweisungen, zum Beispiel zeigt er nachdrücklich, wie verkehrt eine Anbetung ist, die sich nur in Worten, aber nicht in Taten äußert, und wie verkehrt Parteilichkeit, Zwietracht und Streitigkeiten unter Brüdern sind. Worin besteht dann der Unterschied zwischen einem solchen Vorgehen und der Handlungsweise, die Jakobus hier bespricht?
Der griechische Ausdruck, der in diesem Vers mit „gegen einen Bruder reden“ wiedergegeben wird, beschreibt ein Reden, das Feindseligkeit, Ablehnung und Verleumdung verrät. Er hat auch den Sinn von „beschuldigen“ mit dem Nebensinn des Unwahren oder Übertriebenen. (Vergleiche die Verwendung des Ausdrucks in 1. Petrus 2:12.) Die Tatsache, daß Jakobus als nächstes davon spricht, daß jemand seinen Bruder ‘richtet’, und sich dann mit dem Richten befaßt und auf dem Höhepunkt seiner Darlegung die Frage stellt: „Wer bist du, daß du deinen Nächsten richtest?“, zeigt, daß der Ausdruck „gegen einen Bruder reden“ bedeutet, etwas an ihm auszusetzen, ihn streng zu kritisieren oder ihn zu tadeln, doch ohne guten Grund. Das kommt einer Beurteilung gleich, entweder seiner Person oder seiner Handlungsweise oder seiner Beweggründe. Es ist eine negative Einschätzung seines sittlichen Wertes, für die es keine Grundlage gibt. Das Unrecht wird noch verschlimmert, wenn dieses verurteilende Reden hinter dem Rücken des Beschuldigten vor sich geht.
Über das Wort „oder“ in dem Satzteil „gegen einen Bruder redet oder seinen Bruder richtet“ schreibt der Gräzist Lenski: „Das ,Oder‘ ist verbindend, nicht ausschließend“, das heißt, das Reden gegen den Bruder und das Richten sind miteinander verbundene, keine unzusammenhängenden Handlungen.
redet gegen das Gesetz und richtet das Gesetz
Jakobus erklärt, daß eine solch ungerechte, grobe und unfreundliche Kritik an einem christlichen Bruder das gleiche sei, als würde jemand gegen das Gesetz reden und es richten. Etwas früher in seinem Brief spricht Jakobus von dem „königlichen Gesetz“ der Nächstenliebe und dem „Gesetz eines freien Volkes“ (Jak. 2:8, 12). Jakobus scheint daher in dem zur Betrachtung stehenden Abschnitt nicht vom mosaischen Gesetz zu sprechen, sondern von Gottes Gesetz im allgemeinen, wie es auf die Christenversammlung angewandt wird. Wie der Gelehrte Lenski erklärt, steht das Wort für „Gesetz“ im Griechischen hier ohne den bestimmten Artikel, und das stützt die Ansicht, daß Jakobus sich nicht ausdrücklich auf das mosaische Gesetz („das Gesetz“) bezieht. Es könnte jedoch erwähnt werden, daß das „königliche Gesetz“ der Nächstenliebe auch einen Bestandteil des Gesetzesbundes bildete. Tatsächlich sagte Jesus, daß das ganze Gesetz (das Israel durch Moses gegeben wurde) auf nur zwei Geboten beruhe — Liebe zu Gott und Liebe zum Nächsten. (Vergleiche 3. Mose 19:18; Matthäus 22:37-40; Römer 13:8-10.) In ähnlicher Weise legt auch das von Jesus gegebene „neue Gebot“ Nachdruck auf die Liebe (Joh. 13:34; 15:12). In den gesamten inspirierten Christlichen Schriften wird darauf der gleiche Nachdruck gelegt.
Wieso wird nun gesagt, daß die hier beschriebene Handlungsweise einem Reden gegen das Gesetz und einem Richten des Gesetzes gleichkommt? Eine Parallele dazu mögen wir in den verurteilenden Worten finden, die Jesus an die Schriftgelehrten und Pharisäer richtete. Sie sprachen gegen ihn und seine Jünger und warfen ihnen vor, es fehle ihnen an Gottergebenheit, sie hätten falsche Beweggründe und ihre Handlungen seien ungerecht, da sie zum Beispiel den Sabbat verletzten. Sie taten dies jedoch aufgrund von Maßstäben, die sie selbst aufgestellt hatten (wenn sie die Jünger beispielsweise beschuldigten, mit ‘unreinen Händen’ zu essen), oder indem sie Gottes Gesetze sehr extrem auslegten (wenn sie die Jünger beispielsweise verurteilten, weil sie am Sabbat Ähren abpflückten, zerrieben und aßen). Jesus sagte ihnen: „Ihr gebt das Gebot Gottes auf und haltet an der Überlieferung der Menschen fest.“ Ferner sagte er, sie würden das Wort Gottes durch ihre Überlieferungen ungültig machen, die sie übermitteln und als Grundlage zum Richten verwenden würden (Mark. 7:1-9, 13; Luk. 6:1, 2; 11:38; 14:1, 3; Joh. 9:16). Sie hatten sich „auf Moses’ Stuhl gesetzt“. Moses war von Jehova besonders als Gesetzgeber und Richter für Israel gebraucht worden; und während nun die Schriftgelehrten und Pharisäer eifrig verkündeten, was in Gottes Gesetz aufgezeichnet war, fügten sie manches hinzu und erlegten so dem Volk viele bedrückende Traditionen auf (Matth. 23:1-4; Apg. 7:35-38). Da das gewöhnliche Volk das Gesetz nicht gemäß ihren Maßstäben hielt, erachteten sie es „für nichts“, ohne jeden sittlichen Wert, und richteten es, indem sie es als ‘verflucht’ bezeichneten (Luk. 18:9-12; Joh. 7:49).
Dadurch, daß sie das taten, redeten sie gegen das Gesetz und richteten es. Sie maßten sich an, das Privileg und die Befugnis zu haben, das Gesetz nach ihren Vorstellungen auszulegen, es zu erweitern oder einige Bestimmungen überzubetonen und dafür andere zu vernachlässigen. Jesus sagte ihnen, daß sie in kleinen Dingen peinlich genau und in großen Dingen sehr sorglos seien, daß sie ‘die gewichtigeren Dinge des Gesetzes außer acht ließen, nämlich das Recht und die Barmherzigkeit und die Treue’ (Matth. 23:16-24). Gemäß Matthäus 7:1-5 wies Jesus seine Jünger an, sich vor einer solch verkehrten Handlungsweise zu hüten und ihre Brüder nicht zu richten.
Noch in einer anderen Hinsicht spricht jemand, der gegen seinen Bruder redet (vielleicht verleumderisch) oder ihn richtet, gegen das Gesetz, und zwar indem er nicht die Ordnung und den Frieden fördert. In Psalm 119:165 heißt es: „Überströmender Friede gehört denen, die dein Gesetz lieben.“ Würden viele in der Versammlung heftige Kritik üben und ungerecht richten, so könnte dies praktisch zur Anarchie führen. Als Ergebnis würde das geschehen, wovor Paulus die Brüder in den Versammlungen in Galatien warnte, nachdem er ihnen den Rat gegeben hatte, einander zu lieben: „Wenn ihr jedoch einander fortgesetzt beißt und verschlingt, so seht euch vor, daß ihr nicht voneinander vertilgt werdet“ (Gal. 5:13-15).
Der Rat, den Jakobus gab, war daher dringend nötig. In der Christenversammlung in Rom waren zum Beispiel Probleme aufgetreten, weil einige es sich zur Gewohnheit gemacht hatten, „Entscheidungen in bezug auf Zweifelsfragen“ zu treffen („Beurteilungen von Gedanken“ anzustellen, Kingdom Interlinear). Diejenigen, deren Gewissen es ihnen erlaubte, gewisse Dinge zu tun oder nicht zu tun, blickten auf die herab, deren Gewissen dies nicht gestattete, während die letzteren die ersteren richteten, indem sie sie einer verkehrten Handlungsweise beschuldigten (Röm. 14:1-3). Paulus ermahnte sie jedoch, einander nicht zu kritisieren und zu richten, sondern sich statt dessen von Liebe leiten zu lassen und aus Interesse am geistigen Wohl ihrer Brüder lieber auf Dinge zu verzichten, die andere zum Straucheln bringen könnten (Röm. 14:13-15, 19-21; 15:1-3; vergleiche 1. Korinther 8:4, 7-13).
Der Rat des Jakobus stimmt mit dem des Paulus überein. Einem Christen ist es in keiner Hinsicht verboten, in Angelegenheiten, in denen man persönlich entscheiden muß, seine eigene Meinung zu haben, nicht einmal, eine feste Meinung zu haben. Verurteilt wird nicht, daß wir uns ein eigenes Urteil bilden, sondern daß wir unsere persönlichen Ansichten oder Entscheidungen als Grundlage dafür benutzen, unseren Bruder anzuklagen und zu richten. (Vergleiche Römer 14:5, 22, 23.) Wenn wir das tun, erheben wir uns über unseren Bruder als Richter; wir tun so, als stünden wir über ihm und hätten das Recht, seine persönlichen Entscheidungen in solchen Angelegenheiten zu verwerfen und ihn zu verurteilen. (Vergleiche 1. Korinther 10:29, 30.)
Wenn du nun das Gesetz richtest, bist du nicht ein Täter des Gesetzes, sondern ein Richter
Ein Christ hat die Pflicht, Gottes Gesetz zu gehorchen, nicht, sich als Kritiker aufzuspielen. Da das Gesetz gebietet, seinen Bruder und auch andere zu lieben, zeigt jemand, der seinen Bruder heftig kritisiert und richtet, daß er ihn nicht liebt, und somit ist er nicht ein Täter, sondern ein Übertreter des „königlichen Gesetzes“. (Vergleiche Epheser 4:31, 32; 5:1, 2.) Ja nicht nur das, er entfernt sich gewissermaßen aus den Reihen derer, die dem Gesetz unterworfen sind, und erhebt sich in die höhere Stellung eines Richters.
Daß jemand ‘das Gesetz richtet’, kann auf verschiedene Weise zum Ausdruck kommen. Dadurch, daß er nicht alle Gebote — zum Beispiel das Gebot, seinen Nächsten zu lieben und ihn nicht ungerechtfertigt anzuklagen — als bindend betrachtet, richtet er einen Teil des Gesetzes, indem er sagt, man brauche ihm nicht zu gehorchen. Wenn er seinen Bruder in Angelegenheiten verurteilt, in denen Gottes Gesetz ihn nicht verurteilt, beurteilt er das Gesetz gewissermaßen als unzulänglich, als könne es nicht richtig als Grundlage zum Richten dienen, es sei also nicht so geschrieben, wie es hätte geschrieben werden sollen, und es benötige seine Zusätze oder Änderungen. In den Tagen des Jakobus wollten einige Christen am jüdischen Gesetz festhalten, und manchmal kritisierten sie ihre Brüder, die das nicht taten, und sprachen gegen sie. Doch dadurch bemängelten sie das „Gesetz eines freien Volkes“, von dem Jakobus spricht. Sie beurteilten die Aufhebung des mosaischen Gesetzes als unweise und unangebracht und waren der Auffassung, dies werde zu Zügellosigkeit und Unrechttun führen. (Vergleiche Kolosser 2:16, 17, 20-23; Hebräer 8:10-13.)
12 Einer ist es, der Gesetzgeber und Richter ist, er, der zu retten und zu vernichten vermag. Du aber, wer bist du, daß du deinen Nächsten richtest?
12 Einer ist es, der Gesetzgeber und Richter ist, er, der zu retten und zu vernichten vermag
Jakobus geht nun noch weiter und weist auf die Größe des Unrechts hin, das mit einer solch ungerechtfertigten Beschuldigung eines Bruders verbunden ist. Da derjenige, der dies tut, sich zu einem Richter des Gesetzes Gottes aufspielt, stellt er sich mit dem Urheber dieses Gesetzes, dem Gesetzgeber, auf die gleiche Stufe der Autorität. Dadurch, daß er seinen Bruder ungerechtfertigt richtet, mag er sich sogar gewissermaßen das Recht herausnehmen, seine eigene Gesetzgebung einzuführen, gestützt auf seine eigenen, persönlichen Maßstäbe. Doch Jakobus erklärt, daß es nur einen Gesetzgeber und Richter gibt. Dies ist nicht irgendein Mensch, sondern Jehova Gott, der höchste Richter und Gesetzgeber (Jes. 33:22). Er allein hat das souveräne Recht, Maßstäbe und Regeln für die Rettung aufzustellen, da er allein „zu retten und zu vernichten vermag“, das heißt den vollen Lohn und die volle Strafe geben kann. Gottes Sohn sagte: „Werdet nicht furchtsam vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können; fürchtet aber vielmehr den, der sowohl Seele als Leib in der Gehenna vernichten kann“ (Matth. 10:28; vergleiche Psalm 68:20; 75:7). Obwohl sich derjenige, der gegen seinen Bruder spricht und ihn richtet, nicht völlig darüber im klaren sein mag, welche Stellung er sich anmaßt, befindet er sich doch in einer sehr gefährlichen Lage, da er die richterlichen Funktionen des unfehlbaren Gottes zu übernehmen versucht.
„Das Gesetz Jehovas ist vollkommen“; es ist somit vollständig, geläutert und nicht mangelhaft, unzulänglich oder ungeeignet, seinen Zweck zu erfüllen (Ps. 19:7). Den Israeliten sagte Gott: „Jedes Wort, das ich euch gebiete, solltet ihr sorgfältig tun. Ihr sollt nichts hinzufügen noch davon wegnehmen“ (5. Mose 12:32; vergleiche Sprüche 30:5, 6; Offenbarung 22:18). „Dein Gesetz ist Wahrheit“, heißt es in Psalm 119:142, und somit ist es in Übereinstimmung mit dem tatsächlichen Sachverhalt, und es entspricht genau dem, was wirklich benötigt wird. Da Gott der alleinige Gesetzgeber und Richter ist, kann nur er entscheiden, wann irgendeines seiner Gesetze aufgehoben werden kann, weil es seinen Zweck erfüllt hat (wie es beim Gesetzesbund der Fall war), oder wann er neue Gebote und Gesetze erlassen muß (Hebr. 8:10-13; vergleiche Galater 1:8, 9, 11, 12). Genauso, wie es der Gipfel der Respektlosigkeit wäre, wenn Menschen versuchen wollten, Gottes Gesetz so hinzustellen, als heiße es etwas gut, was es in Wirklichkeit verurteilt, so wäre es gleichermaßen vermessen, es so hinzustellen, als würde es etwas verbieten, was es in Wirklichkeit erlaubt (Jes. 5:20; Spr. 17:15). Genau das taten die religiösen Führer der Juden trotz ihres Eifers für das mosaische Gesetz. Jakobus erklärte seinen Brüdern in der Christenversammlung, daß sie sich vor einem ähnlichen Fehler hüten mußten.
Du aber, wer bist du, daß du deinen Nächsten richtest?
Die Frage, die Jakobus hier stellt, ist vernichtend. Es erscheint tatsächlich unglaublich, daß sich irgendein schwacher, irrender, unvollkommener, sündiger Mensch für berechtigt oder kompetent halten würde, anstelle des unfehlbaren Gottes seinen Mitmenschen zu richten, wenn Gott dies durch sein Wort nicht getan hat. Gottes vollkommener, sündenloser Sohn erklärte wiederholt, daß er sich stets sorgfältig und treu an das hielt, was ihm sein Vater gesagt hatte, und daß er sich entschlossen weigerte, aus eigenem Antrieb zu handeln oder zu richten (Joh. 5:30, 45; 7:16-24; 8:15, 16, 26, 28; 12:28-50). Er sagt uns als seinen Jüngern, daß wir es uns nicht erlauben sollten, unseren Nächsten willkürlich zu richten und zu verurteilen, wenn wir nicht selbst als unvollkommene, sündige Geschöpfe gerichtet und verurteilt werden wollen (Matth. 7:1-5; Luk. 6:37; vergleiche Römer 2:1-3).
Die Frage, die Jakobus aufwirft, findet eine Parallele in dem, was der Apostel Paulus in Römer 14:4 sagt: „Wer bist du, daß du den Hausknecht eines anderen richtest? Er steht oder fällt seinem eigenen Herrn.“ Ein Herr hat das Recht, für seinen eigenen Knecht Gesetze aufzustellen, ihm gewisse Pflichten und Einschränkungen aufzuerlegen, ihn zu behalten oder ihn zu entlassen. Würde sich jemand anders diese Verantwortung anmaßen, so könnte der Herr des Knechtes mit Recht sagen: „Was bildest du dir ein?“ (Vergleiche Sprüche 30:10; 1. Korinther 4:1-5.) Da dem so ist, sagt der Apostel weiter: „Warum aber richtest du deinen Bruder? Oder warum blickst du auch auf deinen Bruder hinab? Denn wir werden alle vor dem Richterstuhl Gottes stehen“ (Röm. 14:10; siehe auch Vers 11-13). Wenn wir anerkennen, daß Gott unparteiisch richtet, und unsere eigenen Schwächen einsehen, so wird uns dies helfen, uns vor einem Gefühl der Selbstgerechtigkeit oder der Überlegenheit gegenüber unserem Nächsten zu hüten. (Vergleiche Hiob 31:13-15.)